Seit beinahe zehn Jahren geistert ein bestimmtes Thema nahezu durchgehend durch die Grazer Medien und die Köpfe vieler Menschen: die Rede ist vom Murkraftwerk. Zeitgleich polarisiert auch kaum ein Thema dermaßen stark: Nötige Investition in die Zukunft, meint die Stadtregierung. Umweltzerstörung und Steuergeldverschwendung meinen wiederum die GegnerInnen von der Plattform “Rettet die Mur“. Doch wer sind die Leute, die sich bei dieser Initiative engagieren und was motiviert sie dazu?
Im Jahr 2008 wurde in Kalsdorf und Gössendorf einige Kilometer außerhalb von Graz mit dem Bau zweier Wasserkraftwerke in den Murauen begonnen. Erst kurz vor dem Spatenstich, nachdem bereits alle Genehmigungen eingeholt und alle Beschlüsse gefasst waren, wurden diese Bauvorhaben publik – AnrainerInnen und UmweltschützerInnen waren in Aufruhr. Da die Politik die Bevölkerung über ihre Pläne nie informiert hatte, blieb kaum noch Zeit etwas gegen die Errichtung der Kraftwerke in den als Landschaftsschutzgebiet ausgezeichneten Murauen zu unternehmen. Trotzdem nahmen die Betroffenen das nicht einfach so hin. Erste Treffen wurden abgehalten und man begann, mögliche Formen des Protests zu ersinnen. Bald schon nahm diese Bewegung professionelle Formen an und man gründete eine Bürgerinitiative mit dem sinnstiftenden Namen “Rettet die Mur“.
Der Name ist Programm
Trotz der Tatsache, dass innerhalb kürzester Zeit eine organisierte Protestbewegung auf die Beine gestellt wurde, konnten die MitgliederInnen von “Rettet die Mur“ den Bau der beiden Kraftwerke nicht mehr verhindern. Die Geschichte der jungen Plattform fand aber keineswegs ein vorzeitiges Ende. Denn wie bekannt wurde, planten die Grazer Stadtregierung bzw. die Energie Steiermark drei weitere Kraftwerke entlang der Mur: In Graz Puntigam, Gratkorn und Stübing. Der Einsatz für den Erhalt der Murauen ging also weiter.
Doch wer steckt eigentlich hinter dieser Bewegung? Wer sind diese Leute, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Mur zu retten? Eine dieser AktivistInnen ist Andrea Feierl. Sie ist bereits seit 2009 bei “Rettet die Mur“ aktiv und erzählt, wer sich noch alles in den Reihen findet: „Aktiv beteiligt sind bei uns ein paar hundert Leute. Aber im Grunde ist jeder Mensch, der unseren Gedanken unterstützt und sich für eine frei fließende Mur einsetzt, für uns ein Teil der Initiative.“ Generell sind die AktivistInnen eine sehr heterogene und bunte Truppe aus allen Altersgruppen: Die jüngsten Beteiligten sind gerade mal 18 Jahre, aber auch PensionistInnen engagieren sich. So gibt es etwa eine eigene Gruppe, die sich “Omas und Opas gegen das Murkraftwerk“ nennt. Da es sich um eine Bürgerinitiative handelt, gibt es keine fixen Positionen innerhalb der Organisation: „Jeder tut das, was er kann und was er schafft.“, sagt Andrea. Sie selbst als PR-Fachfrau kümmert sich etwa um die Öffentlichkeitsarbeit. Auch die gesellschaftlichen Schichten finden sich gut durchmischt wieder: „Wir haben etwa Lehrer, Bankangestellte, Studenten, Techniker, Biologen, Menschen aus dem medizinischen Bereich, Sozialpädagogen, Selbstständige, Künstler, Grafiker, Musiker und noch viele weitere in unseren Reihen.“ Trotz dieser großen Diversität haben fast alle die gleichen Anliegen: Die Natur zu schützen, ihr Recht auf politische Mitbestimmung geltend zu machen und die Bevölkerung zum Nach- und Umdenken anzuregen.
Die Gründe gegen das Murkraftwerk und den Zentralen Speicherkanal
- Warum aber eigentlich der ganze Aufwand? Was spricht gegen die Baupläne? Die AktivistInnen von “Rettet die Mur“ haben eine Vielzahl an Gutachten und Studien durchforstet (darunter etwa das Umweltverträglichkeitsgutachten vom Land Steiermark und die Studie zur Wirtschaftlichkeit) und folgende negative Aspekte aufgedeckt:
- Unrentabilität: Die Stromproduktion im neuen Kraftwerk kostet wesentlich mehr, als sich damit verdienen lässt. In den kommenden 50 Jahren ist daher ein wirtschaftlicher Verlust von über 40 Millionen Euro zu erwarten.
- Export: Der produzierte Strom ist zu 90% für den Export ins Ausland vorgesehen. Die GrazerInnen haben daher kaum einen Nutzen von dem neuen Kraftwerk.
- Steuergeld: Trotz der beiden erstgenannten Gründe wird das Projekt von der Grazer Stadtregierung mit über 84,45 Millionen Euro subventioniert.
- Wasserqualität der Mur verschlechtert sich: Das Kraftwerk benötigt einen Stausee. Deshalb muss die Fließgeschwindigkeit der Mur verlangsamt werden, wodurch man dem Fluss die Möglichkeit nimmt, sich selbst von Abwässern und Schadstoffen zu reinigen.
- Baumrodungen: Für den Bau des Kraftwerks und des Zentralen Speicherkanals müssen über 8.000 teils über 50 Jahre alte Bäume weichen. Diese dienen zum einen als wichtiger Feinstaubfilter inmitten der Stadt, zum anderen aber auch als Lebensraum für viele, teils sogar geschützte Tierarten wie etwa die Würfelnatter.
- Belastung der AnrainerInnen: Während der Bauphase sind die direkt am Murufer lebenden BürgerInnen einer ständigen Lärmbelästigung ausgesetzt. Zudem führen die Bauarbeiten zu starken Vibrationen, wodurch laut den Betroffenen teilweise sogar die Gläser in den Regalen wackeln.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der Bau des Zentralen Speicherkanals (ZSK), der vom Kraftwerk in Puntigam bis ins Herz der Stadt direkt im Flussbett der Mur verläuft: „Der ZSK wird ja nur gebaut, weil ein Kraftwerk gebaut wird.“, kritisiert Andrea. Die Behauptung der Politik, dass der ZSK nötig ist, um die Grazer Kanalisation zu entlasten und zu verhindern, dass Abwasser ungefiltert in die Mur gelangt, sei demnach nur ein Vorwand. Zwar würde der ZSK etwa die Hälfte der Grazer Abwässer, die zurzeit noch in der Mur landen, aufnehmen können, jedoch stammen 90 Prozent der Abwässer im Fluss bereits aus dem Oberlauf der Mur. Gegen diese hilft folglich auch der ZSK nichts. Die Wirkung für den Fluss ist demnach nur marginal. Vielmehr ist der Bau des ZSK aus technischen Gründen für das Wasserkraftwerk nötig.
Die AktivistInnen von “Rettet die Mur“ beschränken sich aber nicht nur darauf, die Nachteile des Kraftwerkbaus zu kritisieren, sondern nennen auch mögliche Alternativen, wie etwa den Bau von Photovoltaikanlagen oder die Abwärmenutzung industrieller Anlagen, die sich in Graz und Umgebung zuhauf finden. Viel wichtiger, als Alternativen aufzuzeigen, ist den AktivistInnen jedoch folgender Standpunkt, wie Andrea schildert: „Wir haben immer versucht uns weniger darauf zu fokussieren, welche alternativen Möglichkeiten zur Stromerzeugung wir haben, sondern stattdessen zu überlegen, wie man den Strom effizient nutzen kann, der da ist, sowie der Frage nachzugehen, ob wir überhaupt so unendlich viel mehr Strom brauchen.“ Es gibt eine Vielzahl an unabhängigen Studien, etwa jene der E-Control, die aussagt, dass in Österreich bis mindestens 2030 nicht mehr Strom produziert werden müsse als jetzt, um auch zukünftig den Bedarf zu decken.
Beim Anblick all der dagegensprechenden Gründe stellt sich einem unweigerlich die Frage, warum die Grazer Stadtregierung so sehr am Kraftwerksbau festhält und wenig Kompromissbereitschaft zeigt. Darauf haben aber selbst die AktivistInnen von “Rettet die Mur“ trotz jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Thema noch keine Antwort gefunden: „Wir wissen es nicht. Es wird schon politische oder wirtschaftliche Gründe haben, aber die kennen wir leider nicht und sie werden uns auch nicht verraten.“, erklärt Andrea.
Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsbildung
Um der Bevölkerung die gegen das Kraftwerk sprechenden Gründe aufzuzeigen und ihnen so eine Möglichkeit zur Meinungsbildung zu bieten, engagieren sich die MitgliederInnen von „Rettet die Mur“ auf vielfältige Weise: Sie organisieren Informationsabende und verteilen Flugblätter auf der Straße, veranstalten Wanderungen an der Mur entlang und laden zu Ausstellungen, Konzerten und Infobrunchs ein. Wöchentlich findet zudem die sogenannte Vollversammlung statt: Sonntags um 18 treffen sich im Café Cuntra am Griesplatz alle Initiativen und Organisationen, die sich um den Schutz der Mur bemühen. Neben “Rettet die Mur“ zählen dazu etwa MurXkraftwerk und Murcamp. Gemeinsam bespricht man die weitere Vorgehensweise und plant kommende Events sowie Demonstrationen. Auch den direkten Diskurs mit der Gegenseite, also der Grazer Stadtregierung und der Energie Steiermark, suchten die MitgliederInnen bereits des Öfteren. Jedoch scheiterte dies meist an mangelnder Gesprächsbereitschaft der Opponenten: „Es gab nur ganz wenige öffentliche Diskussionen. Und immer, wenn wir zugesagt haben, hat die Energie Steiermark wieder abgesagt.“, schildert Andrea.
Erste Zwischenerfolge
Bereits 2011 trug das stetige Engagement der MuraktivistInnen erste Früchte: Die Stimmung in der Bevölkerung über das geplante Murkraftwerk schien zu kippen, weshalb der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl versprach, eine Volksbefragung abzuhalten. Diesem Versprechen kam er jedoch nie nach. Die MitgliederInnen von Rettet die Mur begannen deshalb, Unterschriften zu sammeln, um eine Volksbefragung auch gegen den Willen der Stadtregierung erwirken zu können. Die gesetzlich dafür notwendigen 10.000 Unterschriften waren in weniger als einem Jahr zusammen. Trotzdem kam es nie zur Volksbefragung. Aufgrund angeblicher juristischer Verfahrensfehler wurde der dazugehörige Antrag von der Grazer Stadtregierung in der Gemeinderatsitzung am 20. Oktober 2016 nämlich abgelehnt. Wie ein Verfassungsjurist im Standard erläutert, dürfte die Politik dabei jedoch illegitim gehandelt haben. Als Reaktion auf diese Art der politischen Führung, die vielen Menschen äußerst zweifelhaft und inakzeptabel erschien, kam es zu einer Hochphase des Protests: Anfang des Jahres 2017 gab es mehrere Großdemonstrationen gegen das Murkraftwerk und die Stadtregierung, an der sich mehrere tausend Menschen beteiligten.
Blick in die Zukunft
All den stetig lauter werdenden Proteststimmen und Bedenken aus der Bevölkerung zum Trotz hielt die Grazer Stadtregierung an den Plänen für das Murkraftwerk fest, dass sich mittlerweile – wie sich unschwer übersehen lässt – im Bau befindet. Trotzdem werden sich die KritikerInnen von “Rettet die Mur“ weiterhin für ihre Anliegen einsetzen, sagt Andrea: „Es liegt noch viel Arbeit vor uns: Wir müssen während der Bauzeit die Einhaltung und Umsetzung der Umweltauflagen überwachen und Verstoße aufzeigen bzw. anzeigen.“ Bei den bereits fertiggestellten Wasserkraftwerken in Gössendorf und Kalsdorf zeigt sich, dass die Umweltauflagen nur schlampig oder gar nicht umgesetzt wurden, etwa die Lärmschutzauflagen oder die Auflagen zum Schutz der bedrohten Würfelnatter. Außerdem ist bereits die Baugenehmigung für das Kraftwerk in Gratkorn da, und ein weiteres in Stübing befindet sich in Planung. Lauf offizieller Aussage des Projektbetreibers sind diese beiden Vorhaben zwar vorerst auf Eis gelegt. „Aber wir rechnen trotzdem mit diesen Kraftwerken. Genauso wie an der Grenzmur bei Slowenien weitere Kraftwerke geplant sind.“, erklärt Andrea. Auch gegen diese Kraftwerke werde man sich einsetzen, denn „es kommt auf die richtige Dosis an. Wir haben in Österreich bereits 80 Prozent aller Flüsse zugebaut und aufgestaut. Es gibt nur mehr sehr wenige freie Fließstrecken und dadurch auch immer weniger Lebensraum für Tiere und Erholungsgebiete für uns Menschen. Statt auch diese letzten Oasen der Natur für die Energiegewinnung zu verbauen, sollten wir darüber nachdenken, wie wir den Strom, der da ist, effizienter nutzen und gegebenenfalls einsparen können. Denn jedes Kraftwerk, egal ob Kohle-, Wind- oder Wasserkraftwerk, ist ein Eingriff in die Natur und bringt unweigerlich Zerstörung mit sich.“
Falls auch du dich für den Erhalt der Murauen und ein Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung einsetzen willst, hast du folgende Möglichkeiten, mit den AktivistInnen von „Rettet die Mur“ in Kontakt zu treten:
- Sende ein Mail an office@rettetdiemur.com
- Besuche die Facebookseite
- Komm zur Vollversammlung, die immer sonntags um 18.00 im Café Cuntra am Griesplatz stattfindet
Auf Radio Helsinki gibt es außerdem die Serie “Kraftwerksfunk“, die immer freitags um 17 Uhr läuft und aktuelle Informationen zu diesem Thema bietet.