Einander auf Augenhöhe begegnen

An einem düsteren Oktobernachmittag trifft sich eine buntgemischte Gruppe im Postgaragencafé: Afghanen, Syrer, ein paar amerikanische Native-Speaker und Österreicher sitzen gemeinsam im Kerzenschein an Tischen, trinken, essen und spielen Uno. Es ist das Jubiläums-Quatsch-Café zum zweiten Geburtstag des Vereins MIŞMAŠ, in dessen Zentrum ein Miteinander auf gleicher Ebene steht.

Die Frage nach der Multikulturalität

Das erste inoffizielle Treffen der acht MIŞMAŠ-Gründungsmitglieder, darunter Christina Rajković und Sarah Kröpfl, fand 2015 statt. Die beiden engagierten Frauen erzählen, dass die Idee, Transkulturalität in einer interaktiven Ausstellung darzustellen, Ausgangspunkt für den Verein war. “Wir kommen alle aus dem kulturellen Bereich”, sagt Rajković. Die meisten der Gründungsmitglieder arbeiteten in Museen, doch ihre Ausstellung wollten sie außerhalb der Arbeit aufziehen. “Der Verein war die perfekte Plattform dafür”, meinen sie, doch inzwischen ist aus dem Projekt viel mehr geworden.

Die Crew von MIŞMAŠ bei der großen Zwei-Jahres-Feier im Postgaragencafé. –  MIŞMAŠ

Es ist kein Zufall, dass die Geburtsstunde des Vereins mit der Flüchtlingskrise von 2015 zusammenfällt: Die Gründungsmitglieder, die ihre ersten Sitzungen damit verbrachten, den Begriff “Multikulturalität” zu analysieren, wollten sich genau diesem Thema annehmen. Doch auch wenn es jetzt so klingt: Integration ist es nicht, was MIŞMAŠ mit seinem Projekten primär bezweckt. Viel mehr will man Menschen zusammenbringen.

Ein bunter Mischmasch

Die Truppe ist ein wild zusammengewürfelter Haufen aus unterschiedlichen Altersklassen. So ist auch der Name MIŞMAŠ – sprich mischmasch – entstanden, der im ersten Moment eher ein Scherz gewesen sei, wie Kröpfl sagt, später habe er dann irgendwie gepasst. Vor allem, weil es dem Verein darum ginge, einen Ort zu schaffen, an dem es keine Hierarchien gibt.

Die eigenwillige Schreibung soll übrigens auch für Vielfalt stehen: Ein türkisches und ein slawisches S bringen Schwung in das Wort. Auf Anmeldeformularen und in der Email-Adresse wird der Verein trotzdem als “mischmasch” bezeichnet, nicht nur, weil das praktischer ist, sondern auch, weil ein Name mit ausländischen Schriftzeichen bis jetzt von den Behörden nicht durchgelassen wurde.

Geschichtenerzählen und jede Menge Quatsch

Der erste richtige Workshop, den MIŞMAŠ ausrichtete, hatte etwas mit jeder Menge Wollfäden und Alltagsgegenständen zu tun: Geschichten-Spinnerei nannte MIŞMAŠ  das Format, das erstmals beim Straßenfest jako maxi begeisterte und bis heute angeboten wird. Dabei geht es darum, gemeinsam die Geschichte von mitgebrachten Objekten zu erleben und diese mit bunten Wollfäden zusammenzubinden. Es entsteht ein Netz, ein Symbol für den Zusammenhang. “Im Leben macht jeder seine eigene Geschichte”, meint Rajković, das spiegele der Workshop wider.

Weitere Projekte des Vereins sind der kids-channel, bei dem es auch ums Geschichten erzählen geht und das oben genannte Quatsch-Café. Letzteres bringt einmal im Monat unterschiedlichste Persönlichkeiten zusammen und öffnet einen Raum, an dem wirklich jeder willkommen ist.

Sarah Kröpfl, Christina Rajković (vorne) und der Rest von MIŞMAŠ beim Chiala Afrika Festival im Juni 2017.  – MIŞMAŠ

Von 0 auf 100

Aus acht Gründungsmitgliedern sind inzwischen 20 geworden und der Verein steht nicht mehr alleine da: Zusammen mit unterschiedlichsten Institutionen stellt MIŞMAŠ Projekte auf die Beine, zum Beispiel mit der Organisation “Mensch sein”, die Stammgast beim Quatsch-Café ist, oder dem Büro der Nachbarschaften in der Kernstockgasse. Außerdem arbeitet man mit der Caritas und dem afrikanischen Verein Chiala zusammen, bei dessen Straßenfest MIŞMAŠ im letzten Jahr einen eigenen Stand hatte. Dadurch, dass andere mit ihnen Projekte machen wollen, fühle sie sich erst richtig ernst genommen, sagt Kröpfl.

“Oft werden wir auch schon eingeladen, unsere Workshops abzuhalten”, fügt sie noch hinzu. Gerne würde der Verein noch mehr Kooperationen eingehen, doch dazu “müssen wir unser Hobby zum Beruf machen”, wie sie es ausdrücken. Negatives Feedback zu ihrem Aktionen haben Kröpfl und Rajković bis jetzt nicht bekommen, auch die Zustimmung im Kulturbeirat der Stadt Graz haben sie: In den letzten beiden Jahren wurde MIŞMAŠ sowohl von der Landeshauptstadt als auch vom Land Steiermark gefördert und Fahrt- und Materialkosten für die Workshops weitgehend gedeckt. Seit einiger Zeit ist man auch Teil der Initiative steiermark. gemeinsam. jetzt. – das Interesse an dem Verein wächst spürbar.

Zukunftspläne

Ursprünglich sei es einfacher gewesen, sich zu treffen, sagt Rajković. Inzwischen sei der Verein so sehr gewachsen, dass die Umsetzung von Projekten immer schwieriger werde. Vor allem auch, weil MIŞMAŠ trotz seiner regen Aktivität nur ein Hobby seiner Mitglieder ist und die Zeit für weitere Workshops immer knapp ist. Deshalb ist auch die Ausstellung, aus der die Idee für den Verein eigentlich entstand, bis jetzt noch nicht realisiert worden.

Man wolle sich dafür Zeit lassen, sagen die beiden Frauen. “Die Ausstellung schwebt wie ein Luftballon über meinem Kopf”, meint Rajković und fügt hinzu, dass sie erst Erfahrungen sammeln müssten, ehe sie an dem Projekt arbeiten könnten. Und das lasse sich am besten im Rahmen der Quatsch-Cafés tun. Die Ausstellung ist also nicht vom Tisch, sondern nur aufgeschoben. Vorrang bekommt unter anderem ein Projekt zum Thema richtige Mediennutzung, an dem der Verein derzeit tüftelt.

Zurück bei der MIŞMAŠ-Geburtstagsfeier: Ein schwarz-weiß bemalter Pantomime tritt auf und performed Grimassen schneidend zu seiner eigenen Musik. Es geht um verschiedene Gesichter, die wir aufsetzen müssen, um uns an die Gesellschaft anzupassen. Ihm folgt ein syrischer Chemie-Student, der ein eigenes Album aufgenommen hat und mit seinen fremdländisch anmutenden Gitarrenklängen das kleine Café füllt. “Ghosttown” heißt einer seiner Songs, die er in das dampfige Lokal hinaus spielt und dafür eine große Runde Applaus erhält. Erst sehr spät trennt man sich im Postgaragencafé mit dem Versprechen, zum nächsten Quatsch-Café wiederzukommen. Und selbst wenn niemand vorbeischaut: “Bei MIŞMAŠ “werden wir immer miteinander Gaude haben, egal ob wir überrannt werden oder unter uns sind”, sagt Rajković.

 

Infobox
MIŞMAŠ ist ein Kulturverein, der Menschen zusammenbringt. Jeder ist eingeladen an den unterschiedlichen Veranstaltungen – von Quatsch-Café bis Geschichten-Spinnerei – teilzunehmen.

Mitglieder: Khadar Aidid, Haider Al Saedi, Bakary Bayo, Karoline Boehm, Ali Çetinkaya, Lisa Eidenhammer, Silke Essinger, Nina Giesen, Hussein Haschemi, Ilga Hämmerle, Hämid Jafary, Katharina Lehmann, Sarah Kröpfl, Christina Rajković, Magdalena Roß, Brigitte Schuchlenz, Bagher Soltani, Vera Supancic, Robert Tendl, Anita Zwing

Adresse: Alte Poststraße 69, 8020 Graz

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